Interview

Argumentationstrainings
gegen Stammtischparolen

Interview mit Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer

Geführt von Max Barnewitz, Netzwerk Politische Bildung Bayern, am 13. April 2018

Netzwerk Politische Bildung Bayern (NPBB): Was hat sie eigentlich ursprünglich zur Entwicklung ihres Konzeptes motiviert?

Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer: Das ist eine lange Geschichte. Ich habe über viele Jahre hinweg politische Erwachsenenbildung an einer Volkshochschule organisiert und auch unterrichtet und versuche immer wieder Veranstaltungen zu finden, die motivierend sind, freiwillig teilzunehmen. Das war mitunter ein sehr hartes, schwieriges Unternehmen. Dabei ist mir der Gedanken gekommen, man müsste doch etwas machen, was auch praktisch verwertbar ist: Selbstsicherheit, rhetorische Fähigkeiten…  Und da kam die Idee, man könnte das mit politischer Bildung verbinden. Daneben gibt es auch meine eigene Vorgeschichte: Widerspruch gegen Rechtsextremisten war bei mir schon sehr früh angelegt. Daraus hat sich diese Idee entwickelt und irgendwann kam, wie ein heiterer Blitz aus dem Himmel, der Gedanke: Stammtischparole. Das war der Signalbegriff, der sich dann als Anker für die ganzen weiteren Entwicklungen dargestellt und als sehr erfolgreich gezeigt hat.

NPBB: Gab es dazu dann einen konkreten Anlass, eine konkrete Situation, in der Sie diesen Entschluss gefasst haben?

Hufer: Nein, das ist gewachsen. Das war immer der Widerspruch gegen diese Wiederkehr des Nazismus, Neonazismus, Rechtextremismus, die sich verbreiternden allgemeine rechtspopulistische Stimmung. Also einen akuten, aktuellen Anlass gab es nicht. Es gab natürlich immer wieder Vorfälle, die Aufsehen erregend waren; aber eigentlich war der primäre Anlass, politische Bildung attraktiv zu machen.

NPBB: Gab es dabei einen Auftraggeber?

Hufer: Zunächst einmal habe ich das in der eigenen Volkshochschule im Kreis Viersen ausprobiert. Ich hatte ja das Privileg, das tun zu können und merkte dann: Das klappte. Daraufhin haben Kolleginnen und Kollegen dieses Seminar auch gerne in ihr Programm übernommen. Und schliesslich kam dann der Durchbruch, als ich mich entschlossen hatte, das Ganze mal zu konzipieren. Im Jahr 2000 ist die erste Schrift entstanden, dieses erste, kleine Buch: „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“. Das hat sehr schnell Furore gemacht. Es wurde in Nordrhein-Westfalen zum offiziellen Modellprojekt gegen Rechtsextremismus ernannt, auf einer Pressekonferenz, richtig mit Minister.
Und gleichzeitig hat es dann auch in anderen Bundesländern die entsprechende Resonanz gefunden. Und dann war das Unternehmen eigentlich populär, das heisst, über die Bekanntheit und Publizität kamen viele, viele, viele Interviews und Anfragen. Also unendlich viele Radio-, Fernsehinterviews etc. und so hat sich das verbreitet. Auftraggeber, finanzielle, waren noch keine da.

NPBB: Wie haben Sie denn ihr Konzept entwickelt? Wer war an der Konzeptentwicklung beteiligt?

Hufer: Niemand. Ich, ganz allein.

NPBB: Was war denn bei der Entwicklung für sie relevant? Hatten sie gewisse Philosophien im Hinterkopf, Personen, Konzepte, Situationen?

Hufer: Mein Interesse war (und ist), diejenigen, zu befähigen, die mit solchen Parolen konfrontiert werden, handlungsfähig und reaktionsfähig zu sein, entsprechende Artikulationen zu finden und auch ein bisschen zivilen und sozialen Mut zu haben. Das war das primäre Ziel. Und das zweite Ziel, aber das trenne ich ja nie davon, war ein fachliches: Politische Bildung in die Lebenswelten hinein zu verorten.

NPBB: Was kann aus ihrer Sicht mit dem Konzept erreicht werden?

Hufer: Hunderte von Veranstaltungen habe ich gemacht. Was kann man damit erreichen? Sehr schön für mich ist, dass über die traditionellen Bildungseinrichtungen hinaus ganz, ganz viele Akteure, Organisationen, Initiativen, NGOs aus dem gesamten gesellschaftlichen Bereich darauf reagieren und das Training anbieten wollen. Das ist schon einmal eine Breite politischer Bildung. Und zweitens kann es erreichen - das bestätigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die da mitgemacht haben - dass sie doch Mut bekommen haben zum Widerspruch und darüber reflektieren, was in dieser Gesellschaft vonstatten geht und wie gefährdet Demokratie ist. Das sind die Punkte, die erreicht werden können und erreicht worden sind. Also Vielfalt der Nachfrager, damit Vervielfältigung des Angebots in die gesellschaftlichen Bereiche hinein und gleichzeitig Resonanz von Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die dabei gewesen sind und gesagt haben: „Es hat gewirkt und es war gut.“

NPBB: Wo wir schon über Möglichkeiten sprechen: Inwiefern sind sie denn auf Grenzen gestossen bei dem Konzept?

Hufer: Das ist eine wichtige Frage. Grenzen zeigen sich erstens darin, dass man nur die erreichen kann – logischerweise, was aber nicht schlimm ist, aber trotzdem eine Grenze ist – die schon motiviert sind, sich zu engagieren. Und die andere Grenze ist, dass es einer gewissen Artikulationsfähigkeit bedarf, um daran teilzunehmen. Das heisst, man muss schon ein Reflexions- und Artikulationspotential mitbringen. Und die dritte Grenze wird neuerdings immer sichtbarer: Wie kann man mit Argumenten überhaupt jemanden überzeugen, wo niemand mehr jemandem etwas glaubt. Postfaktisch. Das ist ein schwieriger Punkt, der immer mehr eine Rolle spielt und da muss man sich einmal grundsätzlich Gedanken darüber machen.

NPBB: Gäbe es eine Möglichkeit, dieses strukturelle Problem politischer Bildung (oder ausserschulischer Bildung) in den Griff zu bekommen?

Hufer:  Was häufig passiert, ist, dass Schulen anfragen. Allerdings sind das dann meistens Schulkonferenzen, Lehrerkonferenzen. Bei Anfragen für ein Training mit einer Klasse gibt es eine Grenze. Denn die Schulklasse ist weitgehend homogen und die sozialen Muster dort sind schon konditioniert. Da kommt schwer Überraschendes auf, die Konflikte sind eingespielt. Es gibt eine weitere Grenze, die zeigt sich in der Artikulationsfähigkeit und in der Bereitschaft, Ambiguitäten – also Widersprüche – auszuhalten. Das geht maximal in der Oberstufe. Es gibt dann noch Tatsache, dass die Schulen ja immer getaktet sind im Unterrichtsstundenmodus… Also ob es da gelingt? Ja und nein. 

NPBB: Wie haben Sie denn bei ihren Veranstaltungen die Teilnehmenden wahrgenommen? Was sind die Reaktionen, die sie erfahren haben?

Hufer: Interessiert. Engagiert. Teilweise wütend. Aufmerksam. Und ja, Spass beim Mitmachen bei den Rollenspielen.

NPBB: Gab es bei den Veranstaltungen denn für sie ein bestimmtes Highlight? Irgendeine Art Leuchtturmerlebnis, von dem sie berichten können?

Hufer: Es ist schön, wenn sich anschliessend mal jemand meldet und sagt: „Es hat geklappt, vielen Dank.“ Das ist oft passiert. Oder eine schöne Aussage war mal: „In dem Seminar habe ich erlebt und erfahren mit den anderen, dass ich nicht der einzige oder die einzige bin, der oder die so hilflos wirkt, sondern das liegt in der Struktur. Und ich bin dafür nicht verantwortlich. Das hat mich erleichtert und gibt mir Mut.“ Also zu erkennen, dass die Sprachlosigkeit bei der überraschenden Konfrontation mit einer rassistischen Parole zum Beispiel kein persönliches Defizit oder ein persönliches Unvermögen, sondern einfach ein strukturelles Problem ist, das erleichtert und das wird mitgeteilt. Das freut mich dann wieder, weil es dann auch Mut gibt, über den eigenen Rahmen hinaus zu gehen.

NPBB: Ist es ihnen dabei auch passiert, dass Veranstaltungen explizit gestört wurden?

Hufer: Vorträge ja. Seminare noch nie. Bei Seminaren kommen ja immer diejenigen, die sowieso kommen. Es war aber bei Seminaren schon so gewesen, dass, sagen wir mal, sehr Rechtsaffine, auch AfD-Mitglieder da gewesen sind, aber die verhielten sich dann relativ problemlos nach mehrheitlichem Widerspruch der anderen. Bei Einzelveranstaltungen ist es schon häufig zu Störungen, manchmal auch zu aggressiven Auftritten gekommen. Das hängt auch mit einer gewissen Bekanntheit meiner Person zusammen. Manchmal musste ein Vortrag unter Polizeischutz stattfinden. Vor kurzem war ich in einer Volkshochschule, da war eine ganze Gruppe AfDler erschienen. Aber sie stellten nur Fragen, das muss man akzeptieren, das ist legitim, wenn es wie in diesem Fall keine rechtsextremen Positionen sind. Die wurden eingebracht und dann wurde diskutiert. Und wie immer ist sehr schnell der Effekt zu beobachten, dass die überwiegende Mehrheit derjenigen, die gekommen sind, sich ganz schnell positionieren und dagegen argumentieren. Da muss man als Veranstaltungsleiter, als Moderator gar nicht viel machen. Aber massive Übergriffe gibt es auch.


NPBB: Wie hat denn ihre bisherige Arbeit mit den Argumentationstrainings ihre eigene Perspektive oder erweitert?

Hufer: Zunächst mal Zufriedenheit, dass es möglich war, so eine durchaus erfolgreiche Geschichte in die Welt zu setzen. Und zweitens: Meine Perspektive ist zunehmend eine optimistische, weil ich über die Jahre hinweg tausende von Menschen kennengelernt habe, die sich für Demokratie, gegen Rassismus und Rechtsextremismus, Brutalität im Alltag im Umgang mit anderen Menschengruppen engagieren möchten. Das ist eine sehr schöne und positive Erfahrung und die wird immer stärker, trotz aller pessimistisch stimmenden Informationen, die man derzeit wahrnehmen muss.

NPBB: Sie haben es bei den Störungen eben schon einmal angerissen: Wie kann eine angemessene Haltung gegenüber Stammtischparolen und Menschen, die eben Stammtischparolen äussern, vermittelt werden? Also eben die, die nicht durch die klassische, ausserschulische Bildung erreicht werden können?

Hufer: Das ist eine Frage, die einfach zu beantworten ist, weil man sie nicht erreicht. Man kann sie nur erreichen, wenn sie da sind. Man kann ja nicht in der Stadt herumlaufen und jemanden versuchen, anzusprechen, sondern nur, wenn jemand da ist. Man erreicht die Aktiven oder die zur Aktivität bereits Entschlossenen.

NPBB: Besteht an der Stelle dann ein Ergänzungsbedarf oder ist es ein Problem, an welches man aus systemischen Gründen gar nicht herankommt?

Hufer: Da kann man gar nichts ergänzen. Das ist ein Problem, seitdem es Erwachsenenbildung gibt. In der politischen Bildung wird immer wieder darüber nachgedacht: Wie erreicht man diejenigen, die man nicht erreicht? Und machen wir eine Veranstaltung zur Konfirmation der bereits Konfirmierten? Das ist in der Tat so. Aber das ist nicht schlimm, daran muss man nicht verzagen. Diejenigen, die kommen, sind wichtige Multiplikatoren, die gehen dann wiederum heraus aus den Veranstaltungen in ihren Alltag hinein und teilen das, was sie erfahren haben, weiter mit, in ihren Familien, an ihren Arbeitsplätzen. Dort geht die Auseinandersetzung weiter.

NPBB: Sie haben ja den Titel „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“ gewählt, da steckt schon sehr viel drin. Also zunächst ist ein Training für Argumente, es bezeichnet ein „gegen“ und Stammtischparolen ist ja auch ein Begriff, der sich durch ein breites Begriffsverständnis prägt. Was verbinden sie mit diesem Titel?

Hufer: Naja, was der Name sagt.

NPBB: Ein bisschen genauer nachgefragt: Was sind für sie Stammtischparolen?

Hufer: Stammtischparolen werden eindeutig definiert als rigide, ultimative Positionen, die voller Vorurteile sind, Schwarz-Weiss-Malereien, die kein Wenn-und-Aber zulassen, selbstgerecht daherkommen und in ihrer Rigidität auch keine Widersprüche akzeptieren. 

NPBB: Die Schwierigkeit, die mit dem Begriff der Stammtischparolen einhergeht ist doch auch eine gewisse Diskreditierung der Haltung, die als Stammtischparole etikettiert wird. Inwiefern ist der Begriff deswegen geeignet für Angebote der politischen Bildung?

Hufer: Da sagen sie was Richtiges! Es ist ein gewisser Hochmut, der dahinter steckt, andere Positionen als Stammtischparolen ab zu qualifizieren. Das beschäftigt mich auch, aber mir ist nichts Besseres eingefallen. Manchmal sage ich stattdessen „gegen Parolen, Palaver und Populismus.“ Aber das ist nicht so griffig, weil mit dem Begriff Stammtischparole – und das ist das verblüffende – im deutschsprachigen Bereich eindeutig in Verbindung gebracht wird, worüber wir reden. Eindeutig. Ich mache ja Seminare in ganz Deutschland, egal wo. Von Mecklenburg-Vorpommern bis nach Bayern und auch in Österreich, der Schweiz und Luxemburg: Der Begriff ist klar. Aber sie haben Recht: Da steckt eine gewisse Verächtlichmachung drin. Aber andererseits kann man sich wieder retten: Nämlich die Verächtlichmachung wird dadurch relativiert, weil in diesen Stammtischparolen viel Verachtung herauskommt.

NPBB: Mit Kooperations- und Bündnispartnern bieten sie das Konzept an?

Hufer: Ich habe keine Homepage, ich mache keine Werbung dafür und biete das Training nicht an, sondern ich führe es nach Anfragen und Einladungen durch. Ich bin keine Agentur, ich bin in der privilegierten Situation, dass ich nicht darauf angewiesen bin, freiberuflich tätig zu sein. Die Freiberufler müssen natürlich sehen, wie sie akquirieren, das ist klar. Das Feld derjenigen, die da nachfragen, geht von den klassischen Bildungseinrichtungen über Parteien, über kirchliche Träger, Organisationen, Gewerkschaften, es sind Schulkonferenzen, es sind natürlich Volkshochschulen, die klassischen Bildungseinrichtungen auch da. Es sind NGOs, aber auch Verwaltungen. Mit Attac habe ich sehr viel gemacht, mit Amnesty mache ich sehr viel. Also es ist eine grosse Bandbreite der Kooperationspartner.

NPBB: Was waren denn besonders interessante Zielgruppen in jüngster Zeit?

Hufer: Es gab beispielsweise eine sehr aktive Gruppe: schwarze Afrikanerinnen und Afrikaner, die von Rassismus unmittelbar betroffen sind. Von ihren Erlebnissen habe ich in dem Training viel gelernt, Neuerdings, seit 2015, kommen viele Flüchtlingshelferinnen und Flüchtlingshelfer, die sich für ihr Engagement in ihren Familien und Freundeskreisen regelrecht rechtfertigen müssen. Das zeigt, wie der Riss in dieser Gesellschaft durch die privaten Bereiche geht. Es riefen auch private Gruppen an, beispielsweise eine aus einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, in dem Neonazis präsent sind. Die Gruppe wollte sich dagegen wehren. Einmal meldeten sich bei mir schwule und lesbische Paare. Da erfuhr ich authentisch, wie diese Facette der Diskriminierung aussieht. Schön war, als neulich eine ganze Kirchengemeinde im Rheinland anfragte. Der interaktive Vortrag fand in einer sehr schönen Kirche statt. 150 Leute sassen da und es hat sich was unglaublich Gutes entwickelt.

NPBB: Inwiefern ziehen sie Grenzen bei den Kooperations- oder Bündnispartnern? Einmal angenommen, die AfD würde ein Argumentationstraining anfragen…

Hufer: Die fragt ja nicht. Wenn die AfD mich anfragen würde, würde ich sagen: Warum? Weshalb? Wieso? Die AfD und das Umfeld der Rechten ärgert das Argumentationstraining. Es gibt ein Buch „Mit Linken leben“, da haben sich die die Autorin und der Autor über fast 40 Seiten mit dem Argumentationstraining auseinandergesetzt. Das ist eine vom Antaios-Verlag erschienene Kampfschrift von rechts. Das zeigt, dass wir den Kern getroffen haben, indem wir ihnen die „Stammtischhoheit“ wegnehmen.

NPBB: Es meint vielmehr die Frage einer Grenzziehung…

Hufer: Die Grenze zu ziehen, das ist wichtig. Die Grenze ziehe ich auch in der anderen Richtung, wenn aktionistische Kampfbegriffe ins Spiel kommen – wie das beispielsweise bei einer „Stammtischkämpfer*innenausbildung“ der Fall ist. Dann ziehe ich eine Grenze, obwohl die Initiatoren und Akteure vielleicht sogar das Gleiche wollen wie ich. Aber ich verstehe mein Training immer als einen Beitrag zur politischen Bildung, zur Selbstreflexion und zur Auseinandersetzung mit der Frage: Wo sind meine Handlungsmöglichkeiten? Mit diesem Begriff „Stammtischkämpfer*innenausbildung“ kann ich nichts anfangen. Kampf als politische Kategorie gibt es bei den Rechten, bei deren Vordenker Carl Schmitt zum Beispiel. Also da ist für mich eine Grenze, da möchte ich keine Zusammenarbeit. Aber die andere Frage, die Sie vermutlich initiieren möchten, die stellt sich nicht, nämlich rechte Gruppen haben sich bisher noch nie gemeldet. Im Gegenteil.

NPBB: Es ist auch ein abwegiger Gedanke. Es ist in der Hinsicht nur spannend zu erforschen, was unser eigener moralische Imperativ ist.

Hufer: Das ist in der Tat eine interessante Frage für uns selbst und unsere Haltung, Sie greift noch einmal das auf, was Sie bereits fragten: Wie geht das, dass wir einerseits eine klare Zielidee haben mit diesen Argumentationstrainings, und gleichzeitig aber niemanden überrumpeln, überwältigen dürfen? Wie ist diese Spannung auszuhalten zwischen klarer Positionierung gegen antidemokratische, sexistische, rassistische und diskriminierende Positionen und gleichzeitig völlige Anerkennung derjenigen, die in unseren Trainings als erwachsene, mündige Menschen teilnehmen? Das zeigt, dass es auch immer um uns selbst und unsere Haltung und moralischen Anspruch geht. Kein Aktionismus. Reflexion statt Aktionismus. Keine Überwältigung. Keine Agitation. Trotzdem normativ. Und das ist nicht einfach.

NPBB: Sie meinten eben, dass sie sich seit gut 20 Jahren mit Stammtischparolen beschäftigen, seit wann bieten sie das Argumentationstraining konkret an?
Hufer: 2001, 2002. Ja, genau.

NPBB: Können Sie grob überschlagen, wie viele Trainings sie pro Monat ungefähr geben oder gegeben haben?

Hufer: Seminare und Vorträge? Also sagen wir mal Veranstaltungen. In der Woche, Ferien einmal ausgeschlossen, mache ich zwei vielleicht. Das kann ich jetzt ganz schlecht quantifizieren, das hängt von der „Konjunktur“ ab, zur Zeit ist diese sehr gross. Viele Anfragen leite ich weiter an die Kolleginnen und Kollegen, die selbst auch die Trainings durchführen und mit denen ich in engem Kontakt stehe...

NPBB: Welche zeitlichen Formate bieten sie dann in der Regel an? Beispielsweise die Vorträge: Wie lange dauern die?

Hufer: Das geht je nachdem, wie lange es gewünscht wird. Eineinhalb bis zwei Stunden. Drei Stunden sind Kurzseminare, Kurzworkshops. Ich habe auch schon einmal vier Tage gemacht. Also das ist variabel. Ich erreiche mit Vorträgen viele, es gibt Vorträge, da sind 200 und mehr Leute da. Bei Kleinseminaren liegt die maximale Teilnehmerzahl bei ungefähr 20.

NPBB: Mit welchen Veranstaltungstiteln arbeiten sie denn dabei? Bleiben sie recht nah an dem klassischen „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“ oder inwieweit variieren die Titel dann noch?

Hufer: Also meistens bleibt es bei diesem Thema. Wenn es ein Vortrag ist, ist es nur „Argumente gegen Stammtischparolen“. Wenn es ein Seminar ist, ist es „Argumentationstraining gegen…“. Und manchmal wird Stammtischparolen ersetzt durch „Parolen, Populismus – wie kann man kontern?“

NPBB: Inwieweit haben bei den Veranstaltungen selbst die örtliche Presse oder andere Medien die Veranstaltungen unterstützt?

Hufer: Sehr oft, also fast immer. In der Regel kommen gut platzierte Vorankündigungen im Lokalteil, es gab viele Interviews vor und nach den Veranstaltungen: Die Presseunterstützung ist sehr, sehr gross.

NPBB: Jetzt gibt es ja einen wahnsinnig breiten Markt an Argumentationstrainings, wobei viele aus verschiedenen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen herauskommen. Sei es zum Beispiel aus der politischen Bildung oder aus der rhetorischen Richtung oder der Psychologie. In welchem Verhältnis steht das aus Ihrer Sicht zueinander?

Hufer: In einem integrierten Verhältnis, die müssen miteinander in Verbindung gebracht werden. Für mich ist das Seminar primär ein Beitrag zur politischen Bildung, und zwar zur Selbstaufklärung. Nicht zur Bildung, die bevormundend ist, sondern selbst aufklärend. Deswegen sind ja Seminare interaktiv angelegt, das dürfen keine belehrenden Seminare sein. Dann verfehlen sie ihren Zweck. Rhetorische Anteile sind wichtig, aber dabei geht es nicht um rhetorische Techniken, sondern um die zielgerichtete Anwendung von Rhetorik. Und natürlich braucht man psychologische Erklärungen: Warum neigen Menschen zu Vorurteilen? Wie rigide sind Vorurteile? Wo können sie möglicherweise infrage gestellt werden? Man braucht auch Kommunikationstheorien und Kenntnisse von Kommunikationswissenschaft. Also das hängt alles zusammen. Da darf aber nichts verabsolutiert werden: Bildung setzt Reflexion voraus und die Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten, keine klaren Lösungen, sondern auch die Komplexität eines Problems zu erkennen. Und weil es komplex ist, müssen viele Facetten und fachliche Anteile mit hineinspielen.

NPBB: Spielt dann die Politikwissenschaft eine ähnliche Rolle in dieser Trias?

Hufer: Die Politikwissenschaft spielt, ich bin ja selbst ursprünglich Politikwissenschaftler, in unserem Kontext eine wichtige Rolle, obwohl sie heute keine normative Wissenschaft mehr ist. Sie war das früher mal gewesen. Da verstand sie sich als eine Demokratiewissenschaft, jetzt ist sie eine Beratungswissenschaft. Aber sie spielt insofern eine Rolle, weil sie die zentralen Kategorien, um die es geht, aufgreift: Es geht ja um Macht, es geht um Interessen, es geht um Konflikte, es geht um den Versuch, eine politische Öffentlichkeit zu beeinflussen.

NPBB: Gut, dann kommen wir zur interessanten Frage, wie sich das Ganze weiter verbreitet hat. Wie wurden Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für ihr Konzept ausgebildet? Und wann kam der Punkt, an dem sie sagten, es wäre sinnvoll, um dieses Konzept weiter zu verbreiten?

Hufer: Wie gesagt: Ich habe das selbst nicht initiiert, sondern ich habe auf Anfragen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Landeszentralen für politische Bildung ausgebildet, für die Österreichische Gesellschaft für Politische Bildung in der Schweiz für Amnesty international. Ich habe das für diverse sonstige Einrichtungen gemacht, die mir gar nicht mehr einfallen, immer auf Anfrage. Und ich halte es für sinnvoll, weitere Multiplikatoren auszubilden, weil die Idee oder diese Bereitschaft, sich einzubringen in gesellschaftlichen Problemfelder, Konfliktfelder völlig unabhängig von mir an möglichst vielen Orten in dieser Gesellschaft stattfinden soll. Insofern mache ich das gerne, Multiplikatorenausbildung.

NPBB: Welchen fachlichen oder wissenschaftlichen Hintergrund sollten Multiplikatorinnen und Multiplikatoren dabei haben?

Hufer: Sie müssen zumindest eine soziale Kompetenz aufbringen, das ist sehr wichtig. Das heisst also, die Bereitschaft, auf Menschen einzugehen und die Menschen zu verstehen, die auch vielleicht im Widerspruch zu ihnen da sind. Sie müssen eine Sensibilität für Gruppenprozesse haben. Sie müssen eine authentische Positionierung einnehmen können gegen populistische, rechtsextreme oder rechtskonservative Entwicklungen, sie müssen also normativ orientiert sein. Und fachlich müssen sie schon in der Lage sein, in einem Training ein Gespräch konstruktiv weiterzuentwickeln, um auf ein Ergebnis zu kommen. Sie müssen die gesellschaftlichen Entwicklungen und Verwerfungen kennen. Sie müssen auch die neueren einschlägigen Studien zur politischen Kultur, speziell zum Rechtsextremismus für ihre Arbeit übersetzen können. Sie müssen sozialpsychologische und kommunikationstheoretische Grundkenntnisse haben. Das ist relativ viel, aber das setzt jetzt nicht unbedingt einen super spezialisierten Experten voraus, sondern das sind Kenntnisse, die man gewinnen kann, mit der Auseinandersetzung mit der Gruppe, mit der eigenen Fortbildung. Und wenn man in das Thema hineinkommt oder hinein möchte, dann geht das auch.

NPBB: Was sind denn die dahinterstehenden methodischen Kompetenzen?

Hufer: Die methodischen Kompetenzen sind: Zuhören können, sich selbst auch zurücknehmen und trotzdem den Prozess strukturieren können. Die wichtigste Kompetenz ist wohl, den ganzen Tag sehr konzentriert einen Gruppenprozess zu beobachten, aufzupassen, dass er nicht ausufert und dass immer noch das Ziel vor Augen gehalten und auf dieses Ziel hingesteuert wird. Dann zu intervenieren, wenn es nötig ist. Impulse zu setzen, wenn es erforderlich ist. Methodenwechsel ist wichtig, nicht nur Gruppenspiele, sondern zwischendrin auch passende Informationseinheiten hinein geben, Interaktionen vielfältig zu gestalten. Also das ganze Set des methodischen Repertoires, das muss man schon beherrschen.

NPBB: Wenn sie den idealen Multiplikator oder die ideale Multiplikatorin für ihr Konzept mit drei Merkmalen charakterisieren müssten, was wären das für welche?

Hufer: Authentisch, standhaft, Freude am Menschen und keine Absicht, in den Trainings Menschen belehren zu wollen. Im Sinne von Sokrates sollte er oder sie die geistige „Hebammenkunst“ beherrschen.

NPBB: Sie haben es eben schon einmal angerissen: Was sind denn neben den Gründen, die sie schon genannt haben, noch weitere Gründe, die sie dazu veranlasst haben, ihr Konzept zu entwickeln und zu implementieren?

Hufer: Das habe ich ja anfangs schon genannt Ein Fachlicher ergibt sich aus den didaktischen Kategorien der politischen Erwachsenenbildung: Teilnehmerorientierung, Lebensweltorientierung und Handlungsorientierung. Sie sind alle in diesem Seminar drin. Denn es wird von den Teilnehmenden gesteuert. Es geht aus ihrer Lebenswelt heraus, sie bringen ihre Erfahrungen mit. Und gleichzeitig soll es bereit anstiften zur Handlung, zur Intervention, zur Reaktion.

NPBB: Was ist denn aus Ihrer Sicht das, wofür Argumentationstrainings stehen? Wenn sie sich gegen Stammtischparolen wenden, was ist dabei das eigene, das proaktive Element?

Hufer: Die Bereitschaft zur Unterstützung, zur Verteidigung demokratischer Kultur und der Zivilgesellschaft.

NPBB: Wie ist denn diese demokratische Kultur dann ausgestaltet? An welcher Stelle gibt es dabei dann noch einmal Grenzen oder Möglichkeiten, dennoch in den Diskurs zu gehen? Zudem ist ja auch Toleranz ein sehr dehnbarer Begriff…

Hufer: Toleranz ist in der Tat ein dehnbarer Begriff. Es ist auch ein schwieriger Begriff, weil „tolerare“ ertragen oder erdulden heisst. Manches muss man nicht ertragen und erdulden, sondern zur demokratischen Kultur gehört auch Streitbarkeit und Konfliktbereitschaft. Und auch Sensibilität für genau diese Entwicklungen und diese Haltungen, die das alles infrage stellen, was demokratische Kultur ausmacht. Demokratische Kultur ist nicht beliebig: „Ich ertrage alles, alle sind gleich, alle sind gross“ – das ist keine Demokratie.

NPBB: Also liesse sich zusammenfassen, dass ein Ziel eine streitbare, demokratische Kultur wäre?

Hufer: Ja, das kann man so sagen.

NPBB: Ich würde sie abschliessend noch bitten, folgenden Satz zu vervollständigen: Ein gelungenes "Argumentationstraining gegen Stammtischparolen"…

Hufer: … ist es, wenn alle zufrieden nach Hause gehen und dem Kursleiter sagen: Das hat mir gut gefallen.

NPBB: Herzlichen Dank für Ihre umfassenden, nachdenklichen und inspirierenden Einsichten!
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